Martina Sens

„Almost Home“

Endzeit oder Neubeginn – Neuzeit oder Endbeginn

Nun wird es sich bald zeigen, wer Recht behalten soll.

Tritt die Offenbarung des Johannes in den nächsten Wochen und Monaten ein, erweisen sich die Vorhersagen der alten Propheten als richtig, die uns mehrheitlich den Weltuntergang am Ende des vergangenen Jahrtausends durch Sturmwellen und Meteoriten angekündigt haben?

Oder aber werden die modernen Propheten einen besseren Zukunftsblick unter Beweis stellen können – die, die uns derzeit gerade durch wirtschaftliche und politische Sturmfluten jagen oder leiten?

Es wird sich herausstellen. Bald wissen wir mehr.

Vorausgesetzt, wir wissen dann überhaupt etwas. Vorausgesetzt, wir können dann noch etwas wissen.

Vorausgesetzt, wir existieren dann noch mit funktionstüchtigen Gehirnmassen.

Nichts ist sicher.


Mir scheint, nur die Ungewissheit ist gewiss. Dabei taucht er immer häufiger auf mit immer mehr verschiedenen alten und neuen Gesichtern. Der Krieg wütet wieder auf allen Kontinenten. Endlose Trauerzüge von Hungernden, Vertriebenen und Flüchtenden ziehen über die Erdoberfläche. Der Frieden wird mit Bomben gemacht, und alte und neue Seuchen raffen die Menschheit dahin. Er wächst schaurig vielfach und riesengroß an, der Apokalyptische Reiter.

„Europa, Europa“, brüllen die Dompteure und versuchen zu homogenisieren, was eigenartig ist.

„Globalisierung, Globalisierung“, plärren die Sklaventreiber, und mit Peitschen und Pauken zwingen sie zu vernichten, was Ursprung ihres Zieles ist. Der Globus.

Wie kann wachsen, was nur ausgehöhlt wird?

Und dann hoffe ich im Geheimen, die Propheten mögen Recht behalten. Soll sie untergehen, die alte, ausgebeutete Welt. Soll sie den Parasiten Mensch von sich schütteln.

„Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze“, kreischen die wahren Weltregenten, und die Armut der Bevölkerung steigt dennoch proportional zur Fülle derer Portemonnaies.

Soll sie doch untergehen. Amen, arme Welt.

Das wäre das Jahrtausendfeuerwerk, das wäre ein Fest.


Und dann denke ich doch wieder, es wäre schade. Es wäre schade um den Blauen Planeten, schade um die Spezies Mensch, schade um jedes Lebewesen, jede Pflanze, jeden Stein, jeden Tropfen…


Eine Utopie, ein Traum oder eine reale Möglichkeit – vielleicht entspräche es der Logik der Natur, dass auf ein Millenium der Ausbeutung, Vernichtung und des überall vorhandenen „Zivilkrieges“ eine Phase der Regeneration, ein „goldenes Zeitalter“ folgen muss.

Eine Chance für die Erde, ihre Ressourcen wieder aufzubessern, eine Chance für die Menschheit, friedlich und ohne Neid miteinander und mit ihrer Mutter, der Natur, zu leben.

Jahrtausendwende.

Angst- und hoffnungsträchtiges Wort, glaubensschwache Zeit.


Ein Feuerwerk soll es geben. Ein Feuerwerk, das nur ein einziges Mal die Stille und Dunkelheit des Weltraumes durchbricht.

Ein Feuerwerk, in dem alle Waffen, alle Atomkraftwerke, all die todbringenden Laboratorien zerbersten, explodieren, aufflammen – so heiß und so hell, dass sie keinen Schaden hinterlassen können, und danach soll kein menschliches Gehirn mehr in der Lage sein, etwas zu erfinden, was Menschen, Tiere, Geschöpfe bedrohen kann.

In jedem einzelnen Kopf soll ein Feuerwerk stattfinden, welches jede Möglichkeit eines diskriminierenden, argwöhnischen oder lebensfeindlichen Gedanken in die Luft pustet und sich auflösen lässt in Schall und Rauch.


Jahrtausendwende – und doch trägt sie auch etwas Tröstliches in sich.

Was hat diese Erde schon ausgehalten, ohne einfach zu zerbröckeln:


Atomversuche und Automation

Barbarei und Bigotterie

Chaos und Chemikalien

Dekrete und Dämonen

Exzesse und Explosionen

Fabriken und Feldzüge

Gräuel und Granaten

Hochspannung und Hochöfen

Imperium und Industrie

Jumbo-Jets und Juste-Milieu

Kontamination und Kanalisation

Lastkraftwagen und Luftverschmutzung

Müllberge und Mauern

Nuklearwaffen und Niemandsland

Ölpest und Ozonloch

Panzerfaust und Projektil

Qualm und Querfeldeinrennen

Raubbau und Raumfahrt

Städte und Smog

Talsperren und Treibhauseffekt

Umweltverschmutzung und Urwaldrodung

Vegetationsverlust und Verminung

Waldsterben und Wolkenkratzer

Zeit und Zivilisation


Was hat die Menschheit schon ausgehalten, ohne einfach vom Erdboden zu verschwinden:


Autoritätswahn und Ausländerhaß

Banalität und Brudermord

Chauvinismus und Charakterlosigkeit

Dummheit und Despoten

Epigonen und Exil

Fanatismus und Feindseligkeit

Geiseln und Götzen

Habgier und Hexenjagd

Intoleranz und Isolation

Jasager und Judaslohn

Krieg und Korruption

Lakaien und Lieblosigkeit

Militarismus und Materialismus

Neid und Notzucht

Obrigkeitswahn und Opportunismus

Quacksalber und Quälerei

Rationalisierung und Rigidität

Säuberungen und Schablonen

Taktlosigkeit und Tyrannen

Uniformismus und Ungerechtigkeit

Völkerhass und Verantwortungslosigkeit

Wandalismus und Wehrpflicht

Zellen und Zensur


Jahrtausendwende – versuchen wir, alles Unheilvolle abzuwenden, das sie in sich trägt.


Jahrtausendwende – versuchen wir, alles Heilvolle zu fördern, das sie mit sich bringen kann.